Schon seit Alters her wird die Weihe einer Kirche gefeiert. Und das nicht nur mit einem besonderen Gottesdienst sondern auch mit einem Fest, bei dem die Gemeinde zusammenkommt, isst, trinkt, lacht und singt, ja vielleicht sogar tanzt. Im 19. Jahrhundert wurden daraus z.T. die Jahrmärkte (auch Kirmes, Kirchweih oder Kerb bzw. Kerwe genannt), wo neben den Gauklern und Musikgruppen auch Schausteller mit Schiffschaukel und Karussell, z.T. auch fahrende Händler anwesend waren. So auch in Klein-Steinheim, der Perle am Main. Die ältesten unter uns werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass die Kerb (Kirchweih) ganz früher einmal am Marktplatz stattgefunden hat. Heute heißt der Platz allerdings "Francheviller Platz" und wird als Spielplatz genutzt. Andere denken vielleicht auch mit Wehmut an die Zeit zurück, wo man die Kerb in den Gaststätten - von denen es damals deutlich mehr als heute gab - feierte

Warum die Kerb irgendwann nicht mehr auf dem Marktplatz oder in der Kneipe ausgiebig gefeiert wurde, ist ein gut gehütetes Geheimnis der Geschichte. Aber Gerhard Kraft, in den 1970er Jahren Vorstandsmitglied im Sportverein DJK, und ein paar seiner Freunde fanden diesen Zustand nicht haltbar. So beschlossen Sie eines Abends im Vereinsheim Hüttchen beim Feierabendbier, die Kerb mit Hilfe der Vereinskolleginnen und -Kollegen neu aufleben zu lassen. Unterstützung holte man sich außerdem bei der Schaustellerfamilie Stein, deren Vorfahren angeblich schon vor 1900 die Klah-Staanemer Kerb ausgerichtet hatten und somit über ausreichende Erfahrung bei der Durchführung eines großen Festes haben sollten. Das Stein'sche Familienoberhaupt war natürlich ebenfalls begeistert und sagte zu, nicht nur mit Rat und Tat bei der Organisation sondern auch bei der Durchführung zu helfen, und ein paar Fahrgeschäfte mitzubringen.

Nach fast einem Jahr Vorbereitungszeit und einer für Deutschland (BRD) erfolgreichen Fußball-Europa-Meisterschaft war es dann am Freitag, den 21. Juli 1972, endlich soweit: die erste DJK Kerb wurde auf der Mainwiese feierlich eröffnet. Dazu hatte man ein großes Festzelt, geliehen von der Firma Rollwa in Großauheim, aufgebaut, und die Schausteller kamen mit Kettenkarussell, Schieß-, Süßigkeiten- und Losbuden.

Begonnen wurde am frühen Freitagabend mit dem offiziellen Bieranstich, Musik und Tanz. Am Samstagnachmittag wurde ein Umzug durch Steinheim veranstaltet, der neben einzelnen Gruppen aus dem Verein (Handballer, kleine, mittlere und große Fußballer, Turner usw. und so fort) auch den sog., Sechser-Zug einer Frankfurter Brauerei umfasst.

An dieser Stelle ist eine Anmerkung für unsere (Kindes-) Kinder angebracht:

Ganz früher wurde das Bier in großen Holzfässern gereift, die man dann in die Stück für Stück in die Gaststätten geliefert hat. Das geschah auf großen Wagen, die von bis zu sechs sehr großen starken Pferden (#Kaltblut) gezogen wurden. Den Erzählungen zufolge kannten die Pferde eines solchen Bierzuges die Touren durch die jeweilige Stadt so gut, dass sie der Reihe nach alle Gaststätten anfuhren und davor anhielten, ohne dass der Kutscher eingreifen brauchte. Der musste ja auch schließlich mit jedem Wirt eine Bierverkostung vornehmen um zu noch vor-Ort zu beweisen, dass das Bier auch frisch ist. Zum Feierabend bekamen die Tiere dann aber auch einen ordentlichen Schluck.
In den frühen 1970er Jahren gab es in Frankfurt noch zwei Brauereien, die sich einen solchen Sechser-Zug zu repräsentativen Zwecken leisteten - der LKW hatte längst die Pferdekutsche abgelöst - und diesen gerne bei Veranstaltungen ausgeliehen haben. Seit den 90er Jahren sind diese Bierzüge leider eine echte Rarität.

Es gab also einen großen Umzug, der von dem in (vereinfachter) hessischer Tracht gekleideten Vorstand angeführt wurde und der ähnlich dem heutigen Faschingsumzug durch ganz Steinheim führte. Mit dabei war auch die mit Stroh ausgestopfte Kerbpuppe, der Kerbborsch. Dieser musste traditionell am Ende der Kerb, das war 1972 erst am Dienstag, den 25.7., verbrannt werden. Gerhard Kraft, der dieser Tradition aus dramaturgischen Gründen schon zugetan war, fand allerdings, dass ein Kerbborsch mit all seinen Erfahrungen für die kommenden Jahre nützlich sein könnte, weshalb er mit der ersten DJK Kerb auch die Kürung eines überlebenden Kerbborsch einführte. Und so wurde - in der geheimer Wahl durch den Vorstand bestimmt - Willi Mack in die hessische Tracht gesteckt und am fortgeschrittenen Samstagabend mit Schärpe und Medaille zur ersten Staanemer Kerbborsch gekürt. Seine Hautaufgabe, die Gäste bei Laune zu halten, hat er sehr ernst genommen:

Willi Mack, der erste Kerbborsch
der 1. Staanemer Kerbborsch Willi Mack und eine unbekannte Besucherin

Sonntagmorgen ging es erst einmal in die Kirche St. Nikolaus. Die Kirchweihe lag an diesem Tag, es war der 23, Juli, genau 79 Jahre zurück. Nach dem Gottesdienst luden die Kerb-Veranstalter zum Kerbbraten mit Kartoffelsalat oder Brot ein - wir wollen hier keine keine falsche Hoffnung für die diesjährige Kerb schüren, denn auch damals mussten die Gäste ihren Kerbbraten selbst bezahlen; früher hat man das eben so gesagt.